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26. September 2021

Vorstellung des Institutionellen Schutzkonzeptes (ISK) der Pfarrei St. Marien in den Sonntagsgottesdiensten am 25. und 26.9.2021

Liebe Mitglieder unserer Kirchengemeinde St. Marien in Delmenhorst und Ganderkesee!

 

Für unsere Pfarrei ist am 1. September das „Institutionelle Schutzkonzept“ für die Prävention vor sexualisierter Gewalt in Kraft getreten. Wir wollen es an diesem Wochenende in den Gottesdiensten in allen Gemeindeteilen vorstellen, weil es die Rahmenbedingungen vor allem für die zukünftige Kinder- und Jugendarbeit festschreibt und deshalb das Gemeindeleben überall prägen wird.

<-- Auf das Bild klicken, um das ISK anzuzeigen

1. Die Tatsache der sexualisierten Gewalt wahrnehmen
Um den Hintergrund für das Schutzkonzept zu verstehen, muss man eine schlimme Tatsache wahrnehmen, nämlich den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche. Bischöfe und Verantwortliche haben jahrelang Täter geschützt, Erwachsene und Gemeindemitglieder haben den Betroffenen nicht glauben können oder wollen.
Im Januar 2010 berichtete der Jesuiten-Pater Klaus Mertes als Leiter einer kirchlichen Schule in Berlin, dass es dort in der Vergangenheit Fälle von sexualisierter Gewalt an Schülern gegeben hat. Weitere Enthüllungen folgten überall in Deutschland.
Zu dieser Zeit wurden auch bei uns entsprechende Vorwürfe gegen den früheren Pfr. Franz Nienaber bekannt. Im letzten Dezember legte eine unabhängige Historikerkommission den Zwischenbericht einer Missbrauchs-Studie für das Bistum Münster vor. Dort wurde Pfr. Nienaber als „Langzeittäter“ benannt.
Wir müssen uns also bewusst sein, dass für uns als Pfarrei dieses Thema nicht weit weg ist, sondern dass Betroffene von sexualisierter Gewalt und betroffene Familien bei uns leben.

2. Erste Maßnahmen zur Aufarbeitung und Prävention
Seit 2010 hat sich beim Umgang mit diesem Thema in der katholischen Kirche schon vieles verändert, auch wenn noch viel zu tun ist. Die deutschen Bischöfe und die Bistümer haben Leitlinien zur Verfolgung von Tätern und zur Aufarbeitung des Missbrauchs verabschiedet und umgesetzt, ebenso Rahmenordnungen zur Prävention.
n diesem Zusammenhang ist jede Kirchengemeinde verpflichtet, ein sogenanntes „Institutionelles Schutzkonzept“ zu erarbeiten. Darin sollen alle Maßnahmen festgeschrieben werden, die der Prävention vor sexualisierter Gewalt dienen.
Das Ziel ist, durch mehr Wissen und Aufklärung Handlungssicherheit zu gewinnen, potentielle Täter und Täterinnen abzuschrecken und Kinder und Jugendliche zu stärken. Auch sollen alle Gemeindemitglieder für dieses Thema sensibilisiert werden gemäß dem Präventions-Motto „Augen auf! Hinsehen und Schützen“.

3. Die Entstehung des Schutzkonzeptes (ISK)
Nach Beratungen von Pfarreirat und Kirchenausschuss bildete sich nach Ostern 2019 eine Projektgruppe mit Vertreterinnen von Gruppen und Einrichtungen der Pfarrei, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben.
Dazu gehörten Petra Suhrkamp für den Pfarreirat und die Firmkatechese; Andrea Eybe für Kirchenausschuss und Erstkommunionkatechese; Anna Grotheer für unsere Kindertagesstätten; Rebecca Franke, Sandra Eggers und Frauke Günther für Messdiener, Jugendleiter, Zeltlager und Minilager; Pfr. Guido Wachtel für die Seelsorger. Unterstützt wurden sie von Andrea Habe, die Präventions-fachkraft im Offizialat Vechta ist.
Die Projektgruppe hat sich mehrfach getroffen und dabei zuerst auf die Orte und Gruppen geschaut, wo Kinder und Jugendliche in unserer Pfarrei vorkommen, und dann eine Risikoanalyse vorgenommen. Gemäß der kirchlichen Präventions-ordnung wurde dann der genaue Text mit den nötigen Inhalten erarbeitet. Diese Aufgabe war im vergangenen Februar abgeschlossen. Im April 2021 hat der Pfarreirat diesen Text beraten und dem Kirchenausschuss zur Verabschiedung empfohlen. Der Kirchenausschuss seinerseits hat das Schutzkonzept im Juni beraten und jetzt zum 1. September 2021 für unsere gesamte Pfarrei mit ihren Gemeindeteilen in Delmenhorst und Ganderkesee in Kraft gesetzt.

4. Was steht im Schutzkonzept?
Das Schutzkonzept beschreibt die vier Säulen der Prävention.

  1. Alle Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, die in unserer Pfarrei mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, müssen ein behördliches Erweitertes Führungszeugnis vorlegen.
  2. Alle Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, die in unserer Pfarrei mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, müssen entsprechende Schulungen zur Prävention machen. Diese sind seit langen Jahren schon Bestandteil der Fortbildung von Seelsorgern, von Gruppenleiterkursen oder Katechese. Im Schutzkonzept ist jetzt systematisch festgehalten, welche Tätigkeit in der Pfarrei welche Art von Präventionsschulung erfordert.
  3. Das Schutzkonzept formuliert einen Verhaltenskodex, den alle unter-schreiben müssen, die in unserer Pfarrei mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Die Projektgruppe hat die Strategie betrachtet, mit der sich potentielle Missbrauchs-Täter Kindern und Jugendlichen nähern. Dementsprechend wurden im Verhaltenskodex Regeln formuliert, die solche Täter abschrecken sollen. Dabei geht es um Regeln z.B. zum Umgang mit Nähe und Distanz, für Körperkontakte und die Beachtung der Intimsphäre, sowie zum Umgang mit Sprache, sozialen Medien und Geschenken.
  4. Generell will das Schutzkonzept das Thema der sexualisierten Gewalt und der Prävention ins Bewusstsein aller Gemeindemitglieder holen, das Schweigen durchbrechen und die generelle Achtsamkeit fördern – gemäß dem Präventions-Motto „Augen auf! Hinsehen und Schützen“.

5. Wie geht es mit dem Thema innerhalb und außerhalb der Kirche weiter?
Die Tatsache des sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen in der Kirche hat zu Recht Ärger, Wut und Entsetzen ausgelöst. Viele Menschen sind geschockt und kehren der Kirche den Rücken, viel Vertrauen ist verspielt, das erst langsam wieder wachsen kann.
Bei der Aufarbeitung des Missbrauchs und der Prävention sind wir noch lange nicht am Ziel. Dennoch sind seit 2010 innerhalb der Kirche viele Fortschritte gemacht worden. So wurden bspw. in den letzten Jahren im Bistum Münster weit über 50.000 Hauptamtliche und Ehrenamtliche in der Prävention geschult. Und im April 2020 hat die katholische Kirche eine Erklärung mit dem Missbrauchs-beauftragten der Bundesregierung unterzeichnet und sich darin als erste gesellschaftliche Gruppe in Deutschland auf gemeinsame Standards bei der Aufarbeitung verpflichtet.
Wir sind nicht am Ziel, aber wir sind auf dem Weg. Das neue Schutzkonzept soll dazu beitragen, dass unsere Pfarrei für Kinder und Jugendliche ein geschützter Raum sein kann, in dem sie eine positive und hilfreiche Gemeinschaft im Glauben erleben können.

Und wenn wir mit dem Schutzkonzept zukünftig das Thema der Prävention konsequent in der Pfarrei präsent halten und so die Mauern des Schweigens beim sexuellen Missbrauch durchbrechen, kann das vielleicht auch ein Beitrag dazu sein, in unserer ganzen Gesellschaft Kinder besser zu schützen. Denn es werden in jedem Jahr weit über 13.000 Fälle von Kindesmissbrauch in Familien und verschiedenen Gruppen in ganz Deutschland bei der Polizei angezeigt, im Jahr 2020 waren es genau 14.594 Anzeigen.

Der Bundespräsident machte im vergangenen April darauf aufmerksam, als er den Jesuiten-Pater Klaus Mertes für seinen Beitrag zur Aufarbeitung des Missbrauchs mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnete. Dabei sagte Frank-Walter Steinmeier zu Pater Mertes:

„Sie bekämpfen diese Taten in der katholischen Kirche. Aber die ganze Wahrheit ist: Es gibt solche Taten und es gibt Strukturen, die solche Taten begünstigen, an vielen Orten – in staatlichen Institutionen und Vereinen, in Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, im Sport, in Chören und Orchestern. Und wir dürfen nicht vergessen, dass es die Familien und das engste familiäre Umfeld sind, in denen Kinder der sexualisierten Gewalt am meisten ausgesetzt sind.
Manches ist inzwischen auf den Weg gekommen, aber: Wir müssen besser werden; denn obwohl es viele Initiativen gibt, die sich tatkräftig einsetzen für die Aufdeckung und Aufarbeitung und für die Verbesserung der Prävention, ist es bisher nicht gelungen, die Ausmaße sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend nachhaltig zu reduzieren.“